… ruft mir Miriam Duijn entgegen, als ich bei der Wohnunterkunft am Lerchenfeld ankomme. Ich befestige mein Fahrrad und strahle sie an. „Ja!“, sage ich und freue mich. Die Schreibwerkstatt hat sich etabliert. Für Hussein, Mohammad, Laith und Masoud ist das regelmäßige Zusammentreffen am Mittwoch von 18 bis ca. 20 Uhr ein fester Bestandteil geworden.
Als Hussein bei einem Zusammentreffen Anfang November 2016 davon sprach, wie gern er Gedichte lese und vor allem selber schreibe und um Unterstützung dafür bat, war unsere Stunde geschlagen. Franziska und ich verspürten große Lust dazu, Hussein und weiteren interessierten Jungen beim Schreiben jeglicher Art zu helfen. Den Anfang machten Gedichte. Es folgten gesungene Balladen von Achim Reichel. Die Texte zu verstehen, erwies sich allerdings als nicht so einfach, für das Schreiben eigener Gedichte in deutscher Sprache fehlte es noch an Wortschatz.
Deshalb überlegte ich mir einen anderen Zugang für die Jungen und wählte ein Hörspiel aus. Gesprochene Dialoge würden unseren Teilnehmern das Verstehen der deutschen Sprache erleichtern. Das erwies sich als richtig. Dass uns das Hörspiel “Nathans Kinder“ viele Anstöße zum Diskutieren und zum Schreiben lieferte, war ein großer Gewinn für uns alle. Franziska und ich gingen oft beseelt nach Hause. Dieser Jude Nathan warf viele Fragen auf: „Gibt es die eine wahre Religion?“ und „Ist nicht jeder von uns zuallererst ein Mensch?“ Durch diese Impulse und Denkanstöße wurden die Teilnehmer unserer Schreibwerkstatt sehr nachdenklich. Begriffe wie “Identität“ und “Sozialisation“ wurden besprochen, in Relation zu verschiedenen Gesellschaftsformen gestellt und durch eigene Erfahrungen anschaulich gemacht.
In jeder Diskussion erleben uns die Jungen – die junge berufstätige Franziska und mich, die pensionierte Lehrerin – als streitbare, gleichberechtigt auftretende Frauen. Auch darüber sprachen wir. Uns interessiert ihr Frauenbild, das durch eine ganz andere Kultur geprägt ist. Sicher ist, dass die vier Jungen, die regelmäßig in die Schreibwerkstatt kommen, uns sehr schätzen. Unsere Zusammentreffen finden auf Augenhöhe statt. Die Atmosphäre ist sehr vertrauensvoll. Im Rahmen dieser uns allen lieb gewordenen Schreibwerkstatt begleitete Stephanie unsere vier Jungen zu einem Poetry Slam ins Ernst-Deutsch-Theater. Weil Franziska und ich nicht dabei sein konnten, erreichte uns prompt ein Foto aus dem Theater. Zur Verständigung untereinander richteten die Jungen eine WhatsApp-Gruppe ein. Sie gaben ihr den Namen “Die Besten“.
Nachdem wir das Hörspiel “Nathans Kinder“ abgeschlossen hatten besuchten wir die Vorstellung “Nathan die Weise“ im Thalia Theater an der Gaußstraße. Das war eine echte Herausforderung für uns alle, weil die Interpretation die Grundlage zwar erkennen ließ, aber eine sehr eigenwillige Darstellung des Nathans ist. Masoud empfand den Nathan als Katastrophe, Laith amüsierte sich über meine Mimik während der Aufführung, der durch eine Zahn-OP etwas beeinträchtigte Hussein schüttelte den Kopf und Mohammad war so mutig, später die Darsteller anzusprechen. Es war das Gemeinschaftserlebnis, das uns bei diesem Theaterbesuch am besten gefiel. Wir saßen anschließend noch zusammen und sprachen über das Stück.
Seit kurzem bearbeiten wir Deutsch-Prüfungsarbeiten für den Einfachen Schulabschluss (ESA), weil Masoud im Mai an den Prüfungen in allen drei Hauptfächern teilnehmen wird. Für alle ist es eine sehr gute Übung. Woran wir ab der dritten Mai-Woche arbeiten werden, besprechen wir vorher mit den Jungen. Ideen von unserer Seite gibt es genug.
Die Freude weiterzumachen ist groß.
Dagmar Lücke-Neumann, Franziska Olbricht
April 2017